Moravagine malt immer noch.
Montag, 19. Dezember 2005
Herrmann
Herrmann schreitet durch die Straßen seiner Stadt. Die vorweihnachtliche Stimmung geht im Schneematsch und der Hast der Passanten erfolgreich unter. Das stört ihn gar nicht. In der Ferne sieht er einen Mann mit einem knallgelben Hut.

Als dieser näher kommt, entdeckt Herrmann, dass er offenbar ein interessantes Gesicht darunter trägt. Er wird etwas unruhig. Aber sein gestählter Charakterpanzer wird es schon richten. Und tatsächlich, als der Fremde vorbei ist, kommt ihm schon der rettende Gedanke: Wahrscheinlich hat der einen Minderwertigkeitskomplex, den er durch auffällige Kleidung zu kaschieren sucht.

Er biegt in die Fußgängerzone ein und kauft sich neue Socken und sein Duschgel. Als er den Laden verläßt, erblickt er erneut den aufdringlichen Menschen. Er verfolgt ihn ein paar Meter. Nur so zum Spaß. Aber der gelbe Hut verschwindet in einem Kaufhaus und Herrmann will so ganz ohne Kaufabsicht dort nicht reingehen. Er schlendert zum Fluß.

Als er zurückkommt, muss er sich durch eine Gruppe vorlauter, japanischer Rentner kämpfen, die die ganze Breite des Bürgersteigs einnehmen und ohne jede Rücksicht Spaß an ihrem Ausflug haben.

Plötzlich steht der Mann mit dem gelben Hut vor ihm und schaut ihn an. Herrmann weiß ja, dass dieser Mann einen gehörigen Komplex hat und weicht schnell aus, dabei bleibt seine Schuhspitze an einer vorstehenden Waschbetonplatte hängen und er stolpert.

"Ihr Charakterpanzer ist eine Massenvernichtungswaffe!" stellt der Richter trocken fest. Herrmann beugt sich zu seinem Verteidiger und flüstert:" Der Richter hatte sicher eine schwere Kindheit, das kann er vor mir nicht verbergen."

Auf dem Weg in seine Zelle denkt Herrmann darüber nach, wie ihm ein karminroter Kaschmirhut stehen würde, oder lieber in tiefseeblau...

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Freitag, 2. Dezember 2005
Brötchen, Schinken, Wasser -alles da!
Der Wind saust über die Wellen. Er treibt die schaumigen Gischtkronen über den nassen Sand. Dort wo die Dünen zum Hügel ansteigen, steht weit oben eine verfallene Ruine und bewacht die Flussmündung. Hinter der steinernen Mole schiebt sich in Zeitlupe ein Frachter am Horizont entlang. Ein paar Jungs spielen im heißen Sand Fußball. Zwischen zwei leeren Kanistern, die das Meer angespült hat, steht der Torwart und schreit gegen die Brandung an. Es riecht nach Tang und gegrilltem Fisch vom anderen Ufer der Mündung. Wie Pollen bestäubt der feine Sand die Lippen und bleibt in den Mundwinkeln kleben.

Auch auf seiner Hand landet eine Salve diese feinen Puders als einer der Spieler scharf neben ihm abbremst und den Ball, der auf ihn zuflog, wieder ins Spiel zurück schiesst. Beruhigt legt er den Kopf in den Nacken und verfolgt eine Möwe, die um den Flaggenmast an der Mole kreist.

Gegenüber, am anderen Ufer liegt die Stadt mit ihren Hotels und Hafenrestaurants. Kleine Fischerboote mit Außenbordmotoren wackeln in der Dünung. Ihre weißen Bäuche verschwinden von Zeit zu Zeit hinter dem glänzenden Wasser der Wellen. Ein rotes Auto fährt an der Promenade entlang und bahnt sich seinen Weg zwischen den Touristen, Fischern und Grillrestaurants.

Die Möwe segelt auf ein einfahrendes Boot zu und begleitet das tuckernde Vehikel mit kurzen Sturzflügen bis zum Kai. Dort werden ein paar Kisten in das bereit stehende Auto entladen.

Er streckt die Arme weit von sich und liegt wieder flach auf dem Sand. Hinter der Ruine fährt ein knatterndes Moped vorbei und wird langsam leiser auf der Straße zu den Klippen. Mit geschlossenen Augen versucht er zu hören, bei welchem Strandweg es abbiegt. Als er das Auge einen Spalt öffnet, um in die Sonne zu blinzeln, landet ein Sandfloh auf seinem Arm und rollt wieder herunter.

Hinter ihm nähern sich die Stimmen der Fußballer. Der Ball landet auf dem Asphalt des Parkplatzes lange bevor sie zu den Autos gehen und sich lautstark diskutierend umziehen. Er stützt sich auf seine Ellenbogen und beobachtet sie dabei als ihr Wagen um die strahlend gelb blühende Mimose biegt. Sie steigt aus und sucht den Strand nach ihm ab.

Beim Aufstehen wischt er sich den Sand von Bauch und Schultern. Sie winkt mit ihrem Handtuch.

"Du hättest ruhig auf mich warten können!"

"Ich bin eben sehr früh aufgewacht und hier ist es morgens noch so still."

"Ich war eben in der Markthalle. Da hatten sie so riesige Fische mit dicken, blauen Glupschaugen und ekligen Flecken am Kopf. Sahen aus wie Masernfische. Und eine alte Frau wollte mir heiße Maronen andrehen bei 20 Grad im Schatten!"

"Hast du etwas zu essen mit, ich muss unbedingt was essen."

"Brötchen, Schinken, Wasser - alles da."

Sie deutet auf den Wagen und gibt ihm den Schlüssel. Sie geht zu seinem Platz, legt ihr Handtuch neben seins, zieht sich bis auf den Bikini aus, ölt sich ein und liegt dann platt am Boden. Nach einigen Minuten, er hat zwei wabbelige Brötchen mit Schinken gegessen, zuckt ihr linkes Bein. Ein deutliches Zeichen für akutes Einschlafen. Das Moped kommt zurück. Im Rückspiegel sieht er die Fahrerin mit goldener Weste, Jeans und einer Zigarette. Eine Zigarette! Das Moped quält sich den Berg bis zur alten Fischfabrik hinauf. An der steilsten Stelle stirbt der Motor mit einem Knall ab. Kurze Zeit später rollt das Gefährt auf den Parkplatz. Direkt neben ihm hält sie an und strahlt in sein verkrümeltes Gesicht. Als er die Autotür öffnet, hebt sie das Ding auf den Ständer, steckt sich eine neue Zigarette an und hält ihm die Packung hin.

"I think is broken in motor with old bike." Eine tiefe Stimme, eine sehr tiefe Stimme. Er nickt wissend und bläst den ersten Rauch direkt in den Wind. Er legt die Packung zurück in eine schmale Hand mit einer stattlichen Anzahl an Ringen. Jetzt müsste man einen guten Einfall haben. An ihrem Ohr weht eine filigrane Feder aus haarfeinen Silberdrähten.

"Everytime we need a machine, technology destroys our plans." Sie schaut ihm direkt mitten auf die Nase. Sie öffnet den Mund und bläst den Rauch langsam aus und atmet tief ein. Sie schweigt. Er hat keinen wirklich guten Einfall. Pro forma bückt er sich zum Motor und dreht an den Pedalen, klopft auf einen Deckel und wackelt am Auspuff. Beim Aufstehen streift er ihr Bein. Dabei riecht er ihren Duft. Kein Parfum, etwas Cremegeruch.

"I can't help you. I'm not into engines. Maybe you need gas?"

"I don't need not help. I'm hungry."

Er springt eilfertig zum Auto und gibt ihr das letzte Brötchen mit einem dicken Stück Evorakäse. Sie lacht, als er es ihr mit theatralischer Geste überreicht. Er findet sich affig. Er fühlt die Schweißperlen an der Stirn. Er hat Angst, sie könnte ihm genau das antun, was er sich wünscht. Sie setzt sich auf die Motorhaube und beisst ins Brötchen. Er hat eine Idee, er könnte nach ihrem Ziel fragen, ob er sie hinbringen könnte. Aber was sollte er Anna sagen. Oder sollte er lieber gar nichts sagen und schnell wieder hier sein? Er wollte gar nicht schnell wiederkommen.

"You live here? I saw you the last days at Fellini's Cafe down on the marketplace. You come at germany?"

Ja, da auf dem Marktplatz sitzt er eigentlich den ganzen Tag im Schatten und trinkt ab mittags Malibu, während Anna ihren Stimmkurs macht bei dem atemberaubenden Ex-Sänger von der New Yorker Oper, der sich nun vor lauter Erfolg nur noch um verkorkste Schauspielerstimmen kümmert mit der Tomatis-Methode - für ein Schweinegeld.

"Nein...äh no, not now! Do you know a cheap house? I would buy it immediately. I would love to stay here, but I don't have that much money".

Sie strahlt und streicht die Essensreste von der Hose. Ein paar Krümel rutschen auf ihre goldbraunen Füße. Die Flip-Flops kommen in Fahrt.

"Come on, I show you houses for sale. That's my job!"

Er schaut auf die schlafende Anna, dann sieht er, dass die Möwe wieder um den Flaggenmast an der Mole kreist.

Sie gehen den Berg hinauf, vorbei an einer lange Reihe von Mandelbäumen. In einem Vorgarten stehen vergoldete Blumentöpfe mit kleinen Orangen- und Zitronenbäumchen, sie werden mit einem dünnen, rosafarbenen Schlauch bewässert. Eine dicke Katze liegt im Schatten der Pflanzen. Eine alte Frau mit schwarzem Wollrock und Strickjacke döst auf einer Bank vorm Haus. Ganz oben, am höchsten Punkt bleibt die Mopedfahrerin vor einer frisch gekalkten Wand mit geschlossenen gelb lackierten Fensterläden und einer ebenso gelben Tür stehen. Sie holt ein Schlüsselbund aus ihrer goldenen Weste und probiert ein paar Schlüssel. Dann öffnet sie ihm die Tür.

Als sie den kühlen, dunklen Flur betreten, pocht sein Herz bis in die Schläfen. Der helle Sonnenstrahl lässt den Staub in der Luft tanzen. Sie haben ein schlafendes Haus geweckt. Dann fällt die Tür ins Schloss. Er kracht gegen einen riesigen Esstisch, dessen Größe er erst erfasst als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Da ist wieder dieser Geruch nach Schweiß und Creme. Sie atmet direkt in sein Ohr.

"The big bedroom is on the left."

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