Moravagine malt immer noch.
Montag, 28. November 2005
Qualität, die Zweite
Ein paar schwarze Schafe haben sich eingenistet. Und zwar bei Wikipedia! Sie haben wohl mehr als 200 Artikel aus den marxistisch geprägten Lexika der DDR in das freie Online-Lexikon kopiert und damit die größte anzunehmende Urheberrechtsverletzung bei Wikipedia ausgelöst. Mehr dazu hier.

Fragt sich, ob man den Ewiggestrigen im Osten oder möglichen kommerziellen Nutznießern den Schwarzen Peter unterschiebt. Man war sich ja mal sicher, dass Fake-Beiträge allein durch die große Community von über 150 Autoren ausgeschlossen sind.

Vielleicht ist der Begriff "wiki" (Haitianisch für "schnell") doch nicht so ein sicherer Garant für Qualität. Sei es drum, das Projekt hat eine gute Idee als Grundlage. Viele Köche verderben wohl den Brei, aber besser als Zweifeln ist das Kochen allemal. Und so werden wir wohl eine neue Quelle für interessante Studien mehr haben, nämlich die Seite mit den Artikeln, die de.wikipedia.org aussschließt: hier. Der zugehörige Fachbegriff heißt übrigens "Entlernen". Ob andere Wikis das auch so machen?

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Dienstag, 22. November 2005
Sicherheit durch Höflichsein
Diesen Satz habe ich gelesen. In Zürich. Und zwar auf einem Schild an einem Fußgängerüberweg.

Sie sind sehr goldig die Schweizer. Keiner im Rest der Welt würde Imperative auf diese Weise formulieren. Viele meiner Mitmenschen halten es schlichtweg für Irrsin, solche Schilder im Straßenverkehr aufzustellen. Erstmal sind sie aus Sicht des Information Design eine Katastrophe, weil kein international verständliches Icon benutzt wurde - wie das grüne Männchen an den Ampeln. Zum zweiten könnte das Entschlüsseln des Sinns viele Mitbürger vor größere mentale Hindernisse stellen, denen sie normalerweise nicht begegnen. Deshalb lesen sie ja aussschließlich BILDZeitung oder sehen und hören sie Informationen lieber in vorverdauter Form in Talkshows oder Interviews etc. pp.

Anders ist es aber mit der Freundlichkeit. Man pupst nicht, wenn andere dabei sind. Auch Rülpsen ist nicht schicklich in unserem Kulturkreis, deshalb hält man sich die Hand vor den Mund oder versucht möglichst leise zu rülpsen. Oder man sagt nicht solche Fäkalwörter wie Pisse, Scheiße, Kacke.

Warum sagt man das nicht?

Weil Oma und Tante Adele einem das bei einem Stück Buttercremetorte immer wieder eingebleut haben. Ich sehe sie noch vor mir, die alten Damen. Seltsam, es waren immer Frauen, die darauf pochten. Männer wollten immer nur Ehre und Ehrlichkeit fokussieren...

Diese Form der Erziehung ist vorbei. Hauptsache man macht Hausaufgaben, in einigen Familien reicht schon der regelmäßige Besuch der Schule für wahre Anerkennungsstürme.

Geht es wirklich um die Anerkennung des Anderen, wenn ich in ihrer/seiner Gegenwart nicht furze, dafür aber all meine Projektionen auf ihm oder ihr ausschütte und jede unerwünschte eigene Eigenschaft einfach dem Partner, dem Lehrer, dem Kollegen unterbuttere und dort dann genüsslich auf dem losgewordenen Stück eigener Geschichte und Internalisierung rumtrete? Oder ihn oder sie einfach mit dem eigenen Bild von meinem Gegenüber verwechsele?

Was ist eigentlich der Zweck solcher Einschränkung der Lebensäußerungen? Es geht um Dressur, es geht um Disziplin. Es handelt sich also um das weibliche Gegenstück zum Militär. Das Unterordnen unter solche hemmenden Regeln ist quasi die Perversion der Freiheit, von der wir mit Hegel wissen, dass sie die Einsicht in das Notwendige ist.

Was ist aber die Not, aus der geboren wurde, dass Männer Frauen die Tür offen halten, dass sie in ihrer Gegenwart nicht furzen, dass Männer die Löcher in die Wand bohren und die Winterreifen anschrauben?

Es ist der Dreck, es ist die Erde, es ist das Leben in seiner unkontrollierten Ausbreitung, das seine Macht demonstriert und den Menschen auf die Plätze verweist. Der Zufall ist bei vielen Frauen noch nicht als neue Gottheit eingeführt, es herrscht die Mechanik der Biologie. Und sie sind dort noch unentrinnbarer gefangen als Männer, die promisk wie die Bienen von Blume zu Blume fliegen können.

Diese Website, meiner neuer Favorit am Coaching-Himmel, zeigt uns diese weibliche Welt der Unausweichlickeit:
Denn dort hat der Markt eine neue Macht endeckt, die auchaus einer enge Verzahnung des konsumistischen Materialismus mit einer tradierten Kontrolle von Körperöffnungen besteht. In diesem Fall dem Mund. Wie wir bei Wal-Mart, Lidl und Konsorten lernen, darf Verkaufspersonal gar nicht alle natürlichen Regungen des Menschen im Verkaufsraum, dem modernen Marktplatz, zeigen.

Wenn Sie also viel Erfolg haben wollen, dann ist es zwar nett, wenn Sie Kompetenzen mitbringen, gute schulische Leistungen sind auch ganz toll.
ABER: Freundlichkeit und Anstand bringen durchschlagende Ergebnisse!!!

Denn anders als in der Schweiz geht es nicht um ein sicheres Zusammenleben durch das Kopieren höfischer Gewohnheiten, es geht darum, mehr und besser zu verkaufen. Und was wird am liebsten gekauft?

Die Illusion, dass das Hemmen von unwillkürlichen Akten eine Zivilisation kreiert, die den willkürlichen Akten Tür und Tor öffnet. Insofern ist verständlich, dass kriminelle in Hemden für Schäden in Millionenhöhe weniger Strafe bekommen als Einrecher, die eine Stereoanlage und Silberbesteck mitnehmen. Denn sie haben die ganze Wohnung mit ihren schmutzigen Abdrücken dreckig gemacht, die gesamte Terrassentür in Scherben auf dem von nepalesischen Kindern gefertigten Teppich verteilt und erzählen auch noch dreist, dass sie von dem Geld die begehrten Objekte ihrer Alkoholsucht bezahlen wollten.

Pfui, da müssen wir einen Riegel vorschieben! Und zwar mit der ganzen Macht der Freundlichkeit und des Anstandes!

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Religion macht krank
In einer Studie über die sozialen Auswirkungen von gelebter Religiösität innerhalb von Nationen in Bezug auf Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung hat der amerikanische Soziologe Gregory Paul Erstaunliches zutage gefördert. Je religiöser eine Gesellschaft organisiert ist, desto weniger funktioniert das Zusammenleben. Den höchsten Grad an Dysfunktionalität im Westen macht er in den christlich-fundamentalistisch geprägten Teilen der USA aus.

Interessanterweise fokussierte sich diese Studie auch auf den neuen Wissenschaftsgott namens Zufall, der ja in Gestalt der Evolutionstheorie in den amerikanischen Schulen stark eingedaämmt wird durch eine Theorie des Kreationismus.
Man kann dem alten Darwin ja einiges vorwerfen, aber dieser kreativen Art von Scharlatanerie gebührt dann doch der Oskar für die abseitigste Grundlage einer Anthropologie, die auf den Engeln fusst.
Ich habe nichts gegen der Glauben an Engel, aber die 256 Himmelsstufen haben mich schon bei den Hunderten von Steiner-Büchern wenig überzeugt.
(Warum braucht ein Mensch eigentlich so viele Zeilen, um auf den Punkt zu kommen?)

Nicht weil die Engel sich in Büchern nicht offenbaren, sondern weil all diese religiören Ableitungen des Menschen den geneigten Leser zum Idioten stempeln (abgehen vom Theodizeeproblem) indem sie in infinten Regressen baden, Schlüsse aus ungenannten Prämissen ziehen und eigentlich nur den Autor entlarven aber nicht das Geheimnis der Entwicklung des Lebens.

Paul fasst seine Studie zusammen:
Allgemein korrelieren höhere Werte für einen Glauben an einen Schöpfer und dessen Verehrung mit höheren Raten bei Mord, Sterblichkeit bei Jugendluchen und jungen Erwachsenen, Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten, Schwangerschaften bei Minderjährigen und Abtreibung in wohlhabenden Demokratien.

Wer jetzt glaubt, die Wissenschaften wären eine Heilslehre gegen den religiösen Irrglauben, der sollte sich mal die Sonntagsreden von den Kanzeln der Experten anhören, seien sie aus Harvard, Stanford oder gar dem Kieler Wirtschaftsinstitut...ach ja, die haben übrigens ein lustiges Papier über die Staatsubventionen verfasst. Leider ist dort - anders als bei der Evolutionstheorie - nicht der Zufall am Werk. Ein Glück, dass es dort nur um 160 Milliarden geht, ein Glück, dass die Deutsche Bahn als privates Unternehmen genauso viel Geld erhält wie die Bundeswehr. Ein Glück, dass die besten Wissenschaftler die Regierung beraten. Ein Glück, dass Wissen nur eine Vorstufe zu Erkenntnis ist. Noch mehr Glück haben wir, dass wir das aktuelle Wissen in bester wissenschaftlicher Manier als zufällig bezeichnen können.

Denn Ernst nehmen, kann man nur noch diejenigen, die Angst einjagen wollen, denn sie haben offenbar soviel davon in sich, dass sie sie loswerden müssen.

Und es gibt ein probates Mittel gegen die Angst der Anderen in Gestalt ihrer Gewalt: die Abwesenheit der Anderen, sie ist es die nach dem Geld und der Freizeit das höchste Gut des neuen Jahrhunderts wird.

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Freitag, 18. November 2005
Nehmen wir an, Sie wären ein Türgriff
heise.de zitiert Nicholas Negroponte vom MIT:
Nehmen wir einmal an, Sie wären ein Türgriff, verbunden mit dem Internet", erklärte Negroponte seine Vorstellungen. "Sie wären ein smarter Türgriff, der Türgriff an der Eingangstür. Dieser Türgriff würde wissen, wenn Sie zuhause sind. Er wäre so schlau, dass er den Hund rauslassen würde und wieder hinein, er würde aber eben nicht sechs andere Hunde ins Haus lassen. Er würde [...nicht ganz unwichtige Schleichwerbung] Päckchen annehmen und signieren, wenn Sie nicht da sind."

Und damit ist das Internet der Dinge ausgerufen. Das ist also Web 3.0. Nicht mehr social software. Es geht um Dinge und hier meint man digital definierte Objekte, die in Netzen kommunizieren. Ich enthalte mich aller Kritik am Materialismus, aller Vorurteile über die Dingwelt, aller Ängste gegenüber allmächtiger Kontrolle. Was bleibt dann?

Nehmen wir an, Sie wären ein Türgriff zu Ihrem Geld.

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