Moravagine malt immer noch.
Mittwoch, 21. September 2005
Wissen ist die wichtigste Rehsauce
Der Bologna-Prozess. Nein, keine Mafia-Sache sondern das europäische Vorhaben zur Hamonisierung der Universitätsabschlüsse dem wir so transparente Titel wie den B.A. hon. (Bachelor of Arts Honors) oder den MAS (Master of Advanced Studies) verdanken.

In der telepolis schreibt Kollege Weber über den Krampf mit den neuen Titeln, die irgendwie nicht in das schöne doitsche Diplomwesen passen wollen.

Seit Roman Herzog weiland 1997 in quasi seherischer Zueignung zukünftiger Verhältnisse das Wissen als die wichtigste Ressource brandmarkte, ist es in aller Munde: Es gibt einen Ausweg aus der arbeitgeberfreundlichen medialen Inflation von Krankschreibungen der doitschen Wirtschaft - das Wissen und gleich noch seinen Oheim die Innovation dazu.

Zunächst zu Bologna: Laut Weber sichert "das ECTS (European Credit Transfer System) auch gleich, dass Studierende in ganz Europa gleich viel arbeiten: Nämlich zum Beispiel erstaunliche 250 bis 300 Arbeitsstunden pro Seminar." Das ist schön, damit bleibt gewährleistet, dass beim Abschluß alle Absolventen gleich schlau sind? Das ist sicher kein Kind föderaler Streitereien sondern ein ausgemachter Intelligenzbeweis der ECTS-Experten, den Studienaufwand in ein proportionales Verhältnis zum Studienerfolg zu setzen. Ein Lob den weitsichtigen und transregionalen Bildungsexperten in Brüssel! Viel hilft viel und das transnational!

Betrachten wir den Kern der an Opiumsucht ähm.. Bildungssucht leidenden europäischen Bevölkerung, wie ihn Roman Herzog in seiner Brandrede für die Bildungsoffensive beschreibt:
"Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Wissen ist heute die wichtigste Ressource in unserem rohstoffarmen Land. Wissen können wir aber nur durch Bildung erschließen. Wer sich den höchsten Lebensstandard, das beste Sozialsystem und den aufwendigsten Umweltschutz leisten will, der muß auch das beste Bildungssystem haben. Außerdem ist Bildung ein unverzichtbares Mittel des sozialen Ausgleichs. Bildung ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt und noch immer die beste Prophylaxe gegen Arbeitslosigkeit. Sie hält die Mechanismen des sozialen Auf- und Abstiegs offen und damit unsere offenen Gesellschaften in Bewegung. Und sie ist zugleich das Lebenselixier der Demokratie in einer Welt, die immer komplexer wird, in der kulturelle Identitäten zu verschwimmen drohen und das Überschreiten der Grenzen zu anderen Kulturen zur Selbstverständlichkeit wird."


Die Bataillesche Transgression muss hier nun wirklich nicht herhalten, um solchem monokausalen und eindimensionalen Gefasel einen Ausweg zu zeigen. Denn allein das Amalgam an Problemfeldern, dass engagiert vielschichtig und vielgestaltig dargestellt wird, in einem Atemzug mit einer einzigen Lösungsphantasie zu nennen, grenzt an ein fundamentalistisches Glaubensbekenntnis.

In diesem Fall handelt es sich jedoch um ein aufklärerisches Bekenntnis im schlechtesten Sinne des Wortes. Wo Kant noch von Unmündigkeit schrieb, entblödet sich ein Bundespräsident zu erklären, dass Identitäten, die per se durch die Neuzeit eingeführt wurden, um der überbordenden und Angst auslösenden Macht des mittelalterlichen Jenseits und des Jüngsten Gerichts zu entkommen, dass diese Identitäten verschwömmen und etwa durch 250 ECTS-Stunden klarere Konturen und damit mehr Halt erhielten?

Was berechtigt uns heutzutage nach Gulag und faschistischen Arbeitslagern, der Atombombe und Informationsinflation daran zu glauben, dass es Bildung oder gar Wissen schon richten werde. Spricht aus diesem restaurativen Gedankengut, dass der gemeine Hohepriester der Politik sich die Zeiten eines Diderot zurücksehnt, nicht eine tiefe verbitterte Resignation angesichts der Wirkkraft unserer Ausbildung bis dato (Reflexion, Beobachter-Paradox, tat tavam asi.)

Sollte etwa eine epochale Umwälzung der Universitätsabschlüsse tatsächlich das Lebenselixier der Demokratie sein? Beschäftige die Satten mit Büchern und Bildschirmen und Du wirst gebenedeit unter den Lebensstandardoptimierern? Mir schwant da eher eine ergotherapeutische Bedröhnung von jungen Seelen im Takt der akademischen Syntax. Der Galeerentrommler hat seinerseits die Rohstoffarmut in Deutschland erkannt - ob Bildung ein besserer Ausweg als Kriege im Nahen Osten sind, wird die Geschichtsschreibung zeigen. Dass kann man ja offenbar auch nicht mit noch so vielen ECTS-Punkten prognostizieren.

Wie wärs mit Demoskopie, dem futuritischen Ableger der Meteorolgie.

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