Moravagine malt immer noch.
Freitag, 21. Oktober 2005
Schon wieder eine Denkmaschine...und schon wieder das Bewußtsein erklärt
Alle Jahre wieder kommt eine neue, alte Sau durchs Dorf der Wissensforscher. Diesmal wird sie nicht von der science community mithilfe von hübschen PET-Bildern über Denkvorgänge geliefert. Diesmal denkt der ehemalige PALM-Chef (ja genau die mit den kleinen PDAs, die kein Mensch braucht) Jeff Hawkins in großen Dimensionen: Er hat nichts Geringeres vor, als den(sic!) Algorithmus des Neokortex, also der Großhinrinde zu knacken.

Ist das Anwenden von Methoden auf die ihnen zugrunde liegenden Fundamente an sich schon ein unzulässiger Regress, kommt es bei Kollege Hawkins noch dicker: Er versucht sich sogar in modernem Lamarckismus:
"
Ein Reptil hat bereits ein sehr fortschrittliches Gehirn. Die Großhirnrinde machte diesen Denkapparat aber besser. Sie half frühen Säugetieren, ein klein bisschen in die Zukunft sehen zu können. Das Säugetier konnte sich sagen: "Ich erkenne diesen Ort. Ich weiß, dass es um die Ecke etwas zu fressen gibt." Diese Säugetiere waren derart erfolgreich, dass sich ihre Großhirnrinde sehr schnell entwickelte. "


Hübsche Auffassung der Adaptation...

Aber zurück zum eigentlichen Thema den Neurowissenschaften als Tummeplatz der quasitheologischen Finalerklärungen:

"Ich glaube inzwischen, dass ich verstanden habe, was das Bewusstsein ist. Dabei geht es um zwei Elemente: Erstens gibt es ein Bewusstsein, das uns sagt, dass wir "jetzt an diesem Ort" sind. Dadurch können wir uns aktiv an etwas zurückerinnern. Wenn man jedoch Fahrrad fährt, nutzt man dieses erklärende Gedächtnis nicht, weil man sich ja nicht genau daran erinnern kann, wie man ein Fahrrad zu balancieren hat. Wenn ich frage, ob ich mich gerade mit jemandem unterhalte, kann ich mit "ja" antworten. Daraus ergibt sich für mich folgendes Gedankenexperiment: Wenn ich das erklärende Gedächtnis ausschalte, habe ich dann noch ein Bewusstsein? Ich glaube nicht. Es verschwindet einfach.

Aber es gibt noch ein zweites Element des Bewusstseins -- das, was Philosophen und Neurowissenschaftler "Qualia" nennen, das Gefühl, lebendig zu sein. Qualia bedeuten aber nicht für jeden das gleiche. Daher frage ich gerne, warum sich etwas überhaupt nach etwas anfühlt. Das lässt sich dann leichter verstehen. Qualia haben mit der Welt selbst zu tun: Ich nehme die Welt auf eine bestimmte Art wahr, weil sie so auch tatsächlich ist."


Aha. Keine Transzendentalphilosophie, keine Husserl, keine Philosphie des Geistes, keine Fledermaus, keine Searle oder Davidson oder gar eine Emergenztheorie , keine Lobotomieforschung - schlicht nichts.

Ein erklärendes Bewußtsein, das quasi als Referenz dient und eine Masse an Qualia (das Wie einer - subjektiven! - Empfindung) bilden das Bewußtsein des Herrn Hawkins. Mal sehen, wie weit es ihn bringt...

Er erkennt in Delphinen ein Bewusstsein, da sie eine weit entwickelte Großhirnrinde haben. Das nenne ich mal stringent argumentiert, aber es kommt noch närrischer:
"Der einzige Unterschied zwischen uns und den Delphinen ist, dass ihre motorischen Fähigen sehr eingeschränkt sind. Sie können etwas ergründen, aber ihr motorisches Verhalten kaum kontrollieren."

Nur wer mal ein Rudel Delphinen beim Jagen beobachten konnte, kann verstehen, auf welcher Ebene die beiden Bewußtseinsebenen des Herrn funktionieren. Es ist nachgerade lachhaft.

Dann kommt der Kern des Interviews, eine lächerliche Firmenidee, die ähnlich einschlagen wird, wie die Tausend Hydraköpfe des Marc Andreesen oder gar Ray Ozzies superduper Online-Groupware namens Vaporware.

Das ist wohl der tiefe Kern all dieser selbst ernannten Tölpel: Sie verkaufen mit niederschmetternder Dummheit Belanglosigkeiten auf der Grundlage von Ideen, die ein Drittklässler bei näherem Hinsehen durchschaut. Ich frage mich, ob Vertriebler heutzutage überhaupt noch etwas verkaufen ohne "private" Teilung der Provision oder Einladungen ins Rotlichtmilieu. Mit Substanz kann es jedenfalls nichts zu tun haben...

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Mittwoch, 5. Oktober 2005
Afrikanische Transgression
Wer ihn nicht kennt, wird die moderne Faselei von Bourdieu über Baudrillard bis zu Dirk Baecker nicht verstehen können: Georges Bataille. Marcel Mauss und Durkheim hinter sich lassend, entwarf dieser eine sozioökonomische Theorie auf der Grundlage des indianischen Potlatsch-Ritus sowie mithilfe der Notion der Transgression.

Ersteres ist das bedingungslose Hinschenken von allen GESPEICHERTEN Vorräten, die ein Stamm über das Jahr sammelte. Wir erinnern uns an den Beginn der Kultur: Jäger und Sammler. Dieses Hinschenken war ein Akt der Kriegsführung bzw. des Beweises der Souveränität - wie es früher hieß- , um den beschenkten Clan derart zu beschämen, dass auch dieser Stamm seinerseits alles Wertvolle zusammensuchte, um wiederum alles herzugeben. Seine Souveränität erreichte der Clan, der die besten und umfangreichsten Geschenke verteilte.

Transgression ist das Gegenstück zu Regression. Es meint ein Überschreiten der Grenzen. Wer dabei systemisch denkt, sollte dies tunlichst vermeiden, da die Systemtheorie hier völlig versagt. Denn das Wesen der Transgression ist das Übersteigen der Grenzen und nicht das Ausloten zum Zweck der Konstituierung eines Systeminneren.

Bertalanffy, der reichlich mißverstandene Urahn des biologischen Systemgedankens, dachte ja an offene Systeme und den Austausch zwischen ihnen. Bataille ging dabei anders vor: Er fokussierte das Individuum als Ursache und Vehikel der Grenzen.

"Wir leiden an unserer Isolierung in der diskontinuierlichen Individualität."

Die Transgression in erotischer Ekstase, in ritualisierten Morden und in vielen anderen Spielarten gebe Chancen, das Gefängnis des modernen Menschen, das Individuum als Erfindung gegen die christlichen Angstproduktionen, wieder zu verlassen.

Nun gibt es erstmals in diesem Jahrtausend welche, die die Grenzen nieder zerren. Diesmal - und überhaupt immer in Afrika - sind es willkürliche, politische Grenzen, die schnurgerade den Kontinent durchziehen und Clans, Traditionen und Lebensentwürfe voneinander trennen.

Die afrikanische Clanstruktur, die islamische Monomanie und der zwanghafte Pluralismus der Europäer stoßen in Ceuta aufeinander. Sie prallen aber nicht an den Stacheldrahtzäunen ab. Denn in mutiger und verzweifelter Transgression überwinden einige Menschen diese Gräben zwischen dem armen und politisch zerrissenen Afrika, in dem der Clash der Kulturen den Islam und reiche westliche Trusts gegen Schwarzafrika treibt und dem Europa eines ultrakonservativen Antroposophen namens Schily, der noch damit aufwuchs, dass Darwins Theorien gegen die biblische Überlieferung über die besondere Stellung des Menschen verstoßen.

Von offenen Systemen, Emergenz und Autopoiese schreibt keiner im Blick auf diese gesellschaftlichen Veränderungen in unserer Zeit - auf einem "fremden" Kontinent, der ja NICHT mehr kolonisiert und damit praktisch Außengelände der Welt ist..

Sie finden auch kein Gehör im französischen Straßencafé-Philosophismus rund um Hyperrealität und Signfikaten. Denn die Teilchenbeschleuniger der Informationsmaschinen sehen in Afrika einen weißen Fleck, den der Heilige Samariter aus Texas mithilfe von Monsanto, Bechtle und Pfizer zu einem einzigen Schwellenland mit Farben füllen will, die alle schon patentiert sind.

Von daher ist es schon verständlich, wenn die Schilys dieser Welt den Deckel gerne verschlossen halten wollen. Denn sonst laufen den Monsantos dieser Welt die Junkies des 3. Jahrtausends davon. Und das sind mitnichten Menschen, die wegen ihrer zu engen Hosen Rauschgift nehmen mussten wie dereinst die Schwachmaten der 70er, scusi, ich meine natürlich die Helden der Rockmusik.

Das sind ganz einfach Schwarzafrikaner, die wegen ihres Hungers patentierten Genmais anbauen sollen, weil ihnen sonst niemand die Wasserversorgung, die Schulen und die Straßen bauen wird für die Entwicklungshilfe, die wir jedes Jahr überweisen - im Namen und mit Aufsicht der heiligen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit unter wohlwollendem und gütigem Schweigen der Entwicklungshilfeminister.

So werden Märkte gemacht. Klar das einige weise Menschen von dort nach Europa in das Land der seeligen transgredieren wollen. Ohne Ekstase - einfach nur wegen des Hungers, der Willkür und der Radfahrermentalität, die ein epidemisches Virus ist, dass seit der Zeit der Kolonisierung fast alle Kulturen erfasst hat.

Denn Macht entsteht NUR durch Gehorsam. Ansonsten ist Macht eine virtuelle Angelegenheit, eine Baudrillardsche Hyperrealität. Erst der Gehorsame verleiht dem Mächtigen die Omnipotenz. Das war auch schon vor Hegel so.

Hoffen wir, dass diese Menschen möglichst bald eine Zukunftsvision erhalten oder - noch besser - selbst gestalten können, die wenigstens von einem ethischen Gedanken gestreift wird.

Aber, wer im Namen des Herrn unterwegs ist, wie Schily, Bush und andere hoch gestellte Befehlsempfänger, der kann Eines niemals leisten: und das ist Reflexion. Wozu auch, das würde möglicherweise eine andere Art von Denken über Komplexität erfordern als die lustigen Systemtheoretiker mit Chaosforschung, Wechselwirkungen oder gar der Kybernetik.

Dann müsste allerdings das Netzwerk als Metatheorie geopfert werden. Ob das leistbar ist? Zurzeit sicher nicht, dafür sind MIT, Stanford und Oxbridge nicht gerüstet. Vielleicht Trinity.

Vielleicht aber auch Durban, Dubai oder Dar-es-sallam...

Denn Hinschenken sollen sie ja schon die afrikanischen Länder, was in ihnen steckt. Oder war das gar nicht der ursprüngliche Gedanke, dass andere Clans wie die Bushs den F(r)ei(u)nden in Afrika vorschreiben, dass sie alles her schenken sollen. Vielleicht liest der eine oder andere CIA-Mensch, der hier denken läßt, einfach mal ein Buch von Marcel Mauss über die Gabe.

Bücher sind übrigens diese viereckigen Pappdinger, die immer in den riesigen Zimmern in Regalen stehen, wo die kunstvoll ausgemergelten Frauen aus der Mittel- und Oberschicht gerne nach zukünftigen promovierten Arbeitsdrohnen ausschau halten, die ihnen Vorstadthäuschen mit schnuckligen Gärtnern bezahlen.

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Dienstag, 27. September 2005
www.demut.de
Es artet mittlerweile aus. Ich komme mir vor wie ein spinnerter Sammler, der exotische Käferarten aufspiesst und in großen Glaskästen der Welt zeigt. Wie einstmals das literarische Schwergewicht Ernst Jünger sein Faible für Insekten mit virtuoser Finesse parktizierte, suche ich abseitige Websites abseitiger Menschenkinder aus den stinkenden Latrinen dieser herrlich pluralistischen Kloake namens Bevölkerung, die etwas entmenschlicht und entfremdet gerne mit Öffentlichkeit das bezeichnet, was offen sein möchte.

Eben rief mich meine verehrte 7/8-Juristin an und gab mir die geheime Schatzkarte aus Iridium, auf der in aramäischer Schrift der Weg zu einem der größten Ereignisse der Postmoderne eingraviert worden ist.

Unter www.demut.de findet der geneigte Leser ein Kleinod des menschlichen Zwangs nach Anerkennung und Beachtung.

Eine Sammlung von metanaturalistischen Websites, die selbst eingefleischte Futuristen von der Gültigkeit des alten Testaments überzeugen zeigt uns diese pittoreske Aufzählung.

Das Motto der ersten Station ist ganz grosses Programm für den großen Auftritt mit dem wehenden Mantel der Ewigkeit.

Demut ist das Fehlen von Stolz oder Arroganz; Niedriggesinntsein. Sie ist keine Schwäche, sondern eine Geisteshaltung, die Gott wohlgefällt.

Der Imperator und freiberufliche Apokalyptiker, der für dieses Füllhorn an durchgeistigten, profunden Erkenntnissen verantwortlich zeichnet ist seines Zeichens freiberuflicher Sozialmanager und hilft jeder Kreatur dieser Erde bei folgenden Wehwechen:

Meine `eigentlichen´ - alten - Fachbereiche sind:

* Sozialpsychologische Unternehmensberatung
* Verhandlungen
* Medizinische Aus- und Fortbildungen / Dienstleistungen ...

Es bleiben folgende, neuen Tätigkeiten unverändert bestehen:

* Reden u. Kommentare
* halten u./o. schreiben z. B. bei Anlässen aller Art.
Trauerbegleitung incl. Beerdigungsansprache und Vor- und Nachsorge.

Folgende, neue Tätigkeiten werden stark verändert:

* Sehr individuelle psychologisch abgestimmte Betreuung (= Sozialmanagement) einzelner Privatpersonen mit dem Ziel, die aktuelle Lebenssituation zu verbessern, also:
o Beheben der Armut (Sozialhilfe o. ä.)
o Lösung aus der Konsumgesellschaft
o Schaffung von Zukunftsperspektiven
o (Wieder-)Aufbau von Vertrauen in unsere Gesellschaft
o Vermitteln sozialer Kompetenz
o Bekämpfung von Arbeitslosigkeit


Das Ganze wird gekrönt durch eine Subsite des WIM-Verlags, der man konnte es fast erahnen, seinen Namen aufgrund einer Abkürzung erhielt: Weniger Ist Mehr!

Demütig bette ich mein Haupt auf die Steine der kruden Realität vor einer solch virtuosen Züchtigung der Pixel, vor einer derart leidenschaftlichen Textarbeit und - natürlich - vor dem Genie, das solche Leitungen in einem schier übermenmschlichen Kraftakt vollbringen kann.

Heil Dir im Siegerkranz!

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