Moravagine malt immer noch.
Freitag, 2. Dezember 2005
Brötchen, Schinken, Wasser -alles da!
Der Wind saust über die Wellen. Er treibt die schaumigen Gischtkronen über den nassen Sand. Dort wo die Dünen zum Hügel ansteigen, steht weit oben eine verfallene Ruine und bewacht die Flussmündung. Hinter der steinernen Mole schiebt sich in Zeitlupe ein Frachter am Horizont entlang. Ein paar Jungs spielen im heißen Sand Fußball. Zwischen zwei leeren Kanistern, die das Meer angespült hat, steht der Torwart und schreit gegen die Brandung an. Es riecht nach Tang und gegrilltem Fisch vom anderen Ufer der Mündung. Wie Pollen bestäubt der feine Sand die Lippen und bleibt in den Mundwinkeln kleben.

Auch auf seiner Hand landet eine Salve diese feinen Puders als einer der Spieler scharf neben ihm abbremst und den Ball, der auf ihn zuflog, wieder ins Spiel zurück schiesst. Beruhigt legt er den Kopf in den Nacken und verfolgt eine Möwe, die um den Flaggenmast an der Mole kreist.

Gegenüber, am anderen Ufer liegt die Stadt mit ihren Hotels und Hafenrestaurants. Kleine Fischerboote mit Außenbordmotoren wackeln in der Dünung. Ihre weißen Bäuche verschwinden von Zeit zu Zeit hinter dem glänzenden Wasser der Wellen. Ein rotes Auto fährt an der Promenade entlang und bahnt sich seinen Weg zwischen den Touristen, Fischern und Grillrestaurants.

Die Möwe segelt auf ein einfahrendes Boot zu und begleitet das tuckernde Vehikel mit kurzen Sturzflügen bis zum Kai. Dort werden ein paar Kisten in das bereit stehende Auto entladen.

Er streckt die Arme weit von sich und liegt wieder flach auf dem Sand. Hinter der Ruine fährt ein knatterndes Moped vorbei und wird langsam leiser auf der Straße zu den Klippen. Mit geschlossenen Augen versucht er zu hören, bei welchem Strandweg es abbiegt. Als er das Auge einen Spalt öffnet, um in die Sonne zu blinzeln, landet ein Sandfloh auf seinem Arm und rollt wieder herunter.

Hinter ihm nähern sich die Stimmen der Fußballer. Der Ball landet auf dem Asphalt des Parkplatzes lange bevor sie zu den Autos gehen und sich lautstark diskutierend umziehen. Er stützt sich auf seine Ellenbogen und beobachtet sie dabei als ihr Wagen um die strahlend gelb blühende Mimose biegt. Sie steigt aus und sucht den Strand nach ihm ab.

Beim Aufstehen wischt er sich den Sand von Bauch und Schultern. Sie winkt mit ihrem Handtuch.

"Du hättest ruhig auf mich warten können!"

"Ich bin eben sehr früh aufgewacht und hier ist es morgens noch so still."

"Ich war eben in der Markthalle. Da hatten sie so riesige Fische mit dicken, blauen Glupschaugen und ekligen Flecken am Kopf. Sahen aus wie Masernfische. Und eine alte Frau wollte mir heiße Maronen andrehen bei 20 Grad im Schatten!"

"Hast du etwas zu essen mit, ich muss unbedingt was essen."

"Brötchen, Schinken, Wasser - alles da."

Sie deutet auf den Wagen und gibt ihm den Schlüssel. Sie geht zu seinem Platz, legt ihr Handtuch neben seins, zieht sich bis auf den Bikini aus, ölt sich ein und liegt dann platt am Boden. Nach einigen Minuten, er hat zwei wabbelige Brötchen mit Schinken gegessen, zuckt ihr linkes Bein. Ein deutliches Zeichen für akutes Einschlafen. Das Moped kommt zurück. Im Rückspiegel sieht er die Fahrerin mit goldener Weste, Jeans und einer Zigarette. Eine Zigarette! Das Moped quält sich den Berg bis zur alten Fischfabrik hinauf. An der steilsten Stelle stirbt der Motor mit einem Knall ab. Kurze Zeit später rollt das Gefährt auf den Parkplatz. Direkt neben ihm hält sie an und strahlt in sein verkrümeltes Gesicht. Als er die Autotür öffnet, hebt sie das Ding auf den Ständer, steckt sich eine neue Zigarette an und hält ihm die Packung hin.

"I think is broken in motor with old bike." Eine tiefe Stimme, eine sehr tiefe Stimme. Er nickt wissend und bläst den ersten Rauch direkt in den Wind. Er legt die Packung zurück in eine schmale Hand mit einer stattlichen Anzahl an Ringen. Jetzt müsste man einen guten Einfall haben. An ihrem Ohr weht eine filigrane Feder aus haarfeinen Silberdrähten.

"Everytime we need a machine, technology destroys our plans." Sie schaut ihm direkt mitten auf die Nase. Sie öffnet den Mund und bläst den Rauch langsam aus und atmet tief ein. Sie schweigt. Er hat keinen wirklich guten Einfall. Pro forma bückt er sich zum Motor und dreht an den Pedalen, klopft auf einen Deckel und wackelt am Auspuff. Beim Aufstehen streift er ihr Bein. Dabei riecht er ihren Duft. Kein Parfum, etwas Cremegeruch.

"I can't help you. I'm not into engines. Maybe you need gas?"

"I don't need not help. I'm hungry."

Er springt eilfertig zum Auto und gibt ihr das letzte Brötchen mit einem dicken Stück Evorakäse. Sie lacht, als er es ihr mit theatralischer Geste überreicht. Er findet sich affig. Er fühlt die Schweißperlen an der Stirn. Er hat Angst, sie könnte ihm genau das antun, was er sich wünscht. Sie setzt sich auf die Motorhaube und beisst ins Brötchen. Er hat eine Idee, er könnte nach ihrem Ziel fragen, ob er sie hinbringen könnte. Aber was sollte er Anna sagen. Oder sollte er lieber gar nichts sagen und schnell wieder hier sein? Er wollte gar nicht schnell wiederkommen.

"You live here? I saw you the last days at Fellini's Cafe down on the marketplace. You come at germany?"

Ja, da auf dem Marktplatz sitzt er eigentlich den ganzen Tag im Schatten und trinkt ab mittags Malibu, während Anna ihren Stimmkurs macht bei dem atemberaubenden Ex-Sänger von der New Yorker Oper, der sich nun vor lauter Erfolg nur noch um verkorkste Schauspielerstimmen kümmert mit der Tomatis-Methode - für ein Schweinegeld.

"Nein...äh no, not now! Do you know a cheap house? I would buy it immediately. I would love to stay here, but I don't have that much money".

Sie strahlt und streicht die Essensreste von der Hose. Ein paar Krümel rutschen auf ihre goldbraunen Füße. Die Flip-Flops kommen in Fahrt.

"Come on, I show you houses for sale. That's my job!"

Er schaut auf die schlafende Anna, dann sieht er, dass die Möwe wieder um den Flaggenmast an der Mole kreist.

Sie gehen den Berg hinauf, vorbei an einer lange Reihe von Mandelbäumen. In einem Vorgarten stehen vergoldete Blumentöpfe mit kleinen Orangen- und Zitronenbäumchen, sie werden mit einem dünnen, rosafarbenen Schlauch bewässert. Eine dicke Katze liegt im Schatten der Pflanzen. Eine alte Frau mit schwarzem Wollrock und Strickjacke döst auf einer Bank vorm Haus. Ganz oben, am höchsten Punkt bleibt die Mopedfahrerin vor einer frisch gekalkten Wand mit geschlossenen gelb lackierten Fensterläden und einer ebenso gelben Tür stehen. Sie holt ein Schlüsselbund aus ihrer goldenen Weste und probiert ein paar Schlüssel. Dann öffnet sie ihm die Tür.

Als sie den kühlen, dunklen Flur betreten, pocht sein Herz bis in die Schläfen. Der helle Sonnenstrahl lässt den Staub in der Luft tanzen. Sie haben ein schlafendes Haus geweckt. Dann fällt die Tür ins Schloss. Er kracht gegen einen riesigen Esstisch, dessen Größe er erst erfasst als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Da ist wieder dieser Geruch nach Schweiß und Creme. Sie atmet direkt in sein Ohr.

"The big bedroom is on the left."

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Donnerstag, 1. Dezember 2005
Demographische Delle liegt also an Sexmüdigkeit...
so zumindest kann der kurze Schluß lauten, wenn man der Studie eines der Göttinger Uni angeschlossenen Instituts glaubt.

Dr. Breuer: "Wir haben als Bezugsgröße den Zeitraum vier Wochen gewählt, weil viele Paare deutlich weniger als ein Mal in der Woche sexuell miteinander verkehren, wie auch die neue Studie belegt." Mehr als die Hälfte der Befragten (57 Prozent) hat maximal einmal pro Woche sexuellen Kontakt mit dem Partner. "Der immer wieder gern angegebene Mittelwert liegt zwar bei 5,6 Mal innerhalb von vier Wochen. Allerdings haben 63 Prozent der Paare seltener Sex, als es dieser Wert nahelegt", erläutert Dr. Beer. Lediglich 28 Prozent der Partner leben mindestens zwei Mal in der Woche ihre Sexualität miteinander aus.

So also sieht sie aus die kollektive Maßnahme, die Rente zu sichern. Jetzt kommt bald noch einer und erklärt das Ganze als evolutionären Prozess.
Jedenfalls haben wir wieder ein Beispiel, wie man mit qualitativ unbewertbaren PR-Studien Aufmerksamkeit erzeugt für Partnerschaftstests im Web, mit denen sich die Psychologen offenbar über Wasser zu halten glauben. Oder wie genau läßt sich erklären, dass die Teilnahme an (wissenschaftlichen) Tests nicht der Empirie sondern den Professoren dient?

Oder ist eine C3-Stelle die neue Form von Existenzgründungsbeihilfe für Wissenschaftler?
Welche Professionen sind eigentlich besonders aktiv beim Rentensichern beteiligt?
Und was ist mit denen, die keinen Partner sondern nur Bekanntschaften haben?

Ist das am Ende nicht vielleicht ein vorsichtiger Hinweis darauf, dass Paare seltener Sex haben als Alleinstehende?

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Mittwoch, 30. November 2005
Darwinsches Paradoxon: Schizo macht sexy
Das werden die Legionen von Online-Partner und -Flirtwebsites sicher ausnutzen: Britische Forscher haben statistische Zusammenhänge erkannt und zwar zwischen schizoiden Verhaltensweisen bei Kreativen (sic) und ihrem Erfolg beim anderen Geschlecht.

"Kreativität bei schizotypen Persönlichkeiten macht bei der Partnersuche erfolgreich" titelt dann auch eine Agentur in einem Text über diesen Artikel.

Denn Schizophrenie ist laut unserer psychologisierenden und seelisch hygienischen Gesellschaftsform eigentlich ein evolutionärer Nachteil. Schließlich beeinträchtige sie das gesamte Leben der Betroffenen, die häufig völlig den Bezug zur Wirklichkeit verlieren, unter Wahnvorstellungen leiden und sich sozial zurückziehen. So müsste ein seelisch hygienisch denkender und sauberer Bürger wohl denken.

Tatsächlich aber betrifft die Krankheit nach Schätzung von Experten etwa ein Prozent der Bevölkerung. Nach der Evolutionstheorie könnte eine Veranlagung für diese Krankheit mit einer anderen Eigenschaft gekoppelt sein, die dem Betroffenen einen deutlichen Vorteil bei der Fortpflanzung verschafft.

Zwei Psychologen der The Open University Department of Psychology Walton Hall haben nun abenteuerliche Kontexte mit den kreativen Mitteln der Statistik hergestellt:

"Je kreativer ein Teilnehmer war, desto ausgeprägter waren seine schizotypen Charaktereigenschaften – und desto reger war sein Liebesleben. So hatten die kreativsten Künstler beispielsweise im Schnitt bereits deutlich mehr Partner gehabt als ihre unkreativen Altersgenossen. Das galt sowohl für die befragten Frauen als auch für die Männer, schreiben die Forscher. Offenbar ist Kreativität demnach ein entscheidender Faktor bei der Partnerwahl und wiegt die Nachteile, die durch die größere Anfälligkeit für Schizophrenie entstehen, mehr als auf."

Ach so, nee klar, es ist ein evolutionärer Vorteil, viele Partner zu begatten, aber ist es auch ein emotionaler Vorteil?

Nur schade, dass Kreativität genauso wie Intelligenz einer der Begriffe ist, bei denen selbst gestandene Naturwissenschaftler sagen, dass man darüber qualitativ eigentlich gar nichts aussagen könnte. Nun gilt ja Wittgensteins Verdikt, dass Definitionen von Wörtern Unsinn seien, nicht immer. Denn hier wenigstens könnte man den Sinn des zu findenden Objekts namens Kreativität auch mal hinterfragen:
Wenn selbst die Psychologie wenig Erhellendes über die Kreativität sagen kann, warum kann dann so eine Studie irgendeinen Hinweis auf irgendetwas liefern? Ist am Ende die gesuchte und sexuell erfolgreiche Kreativität im Untersuchenden selbst am meisten ausgeprägt?

Aber schön, dass mal 425 Menschen zu ihrem kreativen Hobby des Malens (als ob Musiker oder Schriftsteller weniger *kreativer* wären) und - nebenbei - nach ihrer Promiskuität befragt wurden.

Ach, ich liebe diese sinnfreie Vergeudung von Steuergeldern an die diplomierten Psychologie-Töchter und Soziologie-Söhne von Lehrern und Ärzten.

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